Es ist jetzt 20 Jahre her. Ich hatte den Sinn des Lebens an sich in Frage gestellt.
Ich spürte die Unmöglichkeit, engere Beziehungen einzugehen. Die Welt kam mir wie ein großer Maskenball vor, eine Welt, in der
niemand sein wahres Gesicht zeigt. Ich spürte wohl, daß auch ich eine Maske trug; trotzdem habe ich sie nur bei andern wahrgenommen. Im
Versuch einer Freundschaft hatte ich wahrscheinlich noch geglaubt, daß ich nur die Maske trage,
weil die anderen ihr wahres Gesicht auch nicht zeigen. Ich stelle mich noch als derjenige dar, der ja immerhin versucht hat, diesem Menschen
die Maske zu nehmen; ein Trugschluß, wie sich später herausstellen sollte. Ich war voll in einem von mir selbst inszenierten Drama, auf das
ich später noch zu sprechen komme. Ich war seinerzeit weit davon entfernt, die wahren Hintergründe zu durchschauen. Tatsächlich projizierte
ich mein eigenes Problem nach außen, um dann die jeweilige übertragungsfigur genau für seine Beziehungsunfähigkeit zu kritisieren. Es ist
ungeheuerlich; aber ich habe Kritik nach außen geübt, aber eigentlich immer nur mich selbst angesprochen. Ich habe vieles erst in der letzten
Zeit erkannt. So ist mir auch aufgefallen, daß Kritiker in vielen Fällen die eigene Unfähigkeit ansprechen, wenn sie nach außen Kritik üben;
sie wissen es nur nicht. Zum Beispiel sind Literaturkritiker selbst selten gute Schriftsteller. Mängel bei anderen zu finden heißt, die eigenen zu
spüren. Ich gehe soweit und unterstelle, daß in der Umkehrung z.B. talentierte Künstler miserable Kunstkritiker sind. Erst der Mangel einer Fähigkeit
ermöglicht das Aufspüren der Unfähigkeit bei anderen. Ein Problem nach außen verlagern ist der Versuch, sich davon zu befreien, und unbewußt
ist man immer auf der Suche nach einer geeigneten übertragungsfigur. In sofern ist nach außen gerichtete Kritik sehr häufig schon ein Hilferuf.
Die Maske kommt bei mir noch des öfteren vor, sie hat aber immer dieselbe Funktion: den Schutz nach außen; wenn ich niemanden an mich
heranlasse, so kann mich auch niemand verletzen
Aus der selben Zeit wie "Stummer Hilferuf".
Die folgerichtige Fortsetzung von "Teufelskreis".
Ich rutsche langsam aber sicher in eine dramatische Lebensphase. Seit Vergeudet sind zwei Jahre vergangen, die Gedanken in diese Richtung haben mich aber nicht mehr losgelassen. Hier versuche ich unbewußt, mich noch zu besinnen, spreche selbstverständlich aber mit erhobenem Finger eine andere Person an, meine auserwählte übertragungsfigur.
Wollust des seelischen Schmerzes
Selbstbetrug nimm Deinen Lauf. Was ich inszenierte, habe ich mit Freiheitsdrang begründet. Andere haben von "midlife crisis" gesprochen, die Tatsache, daß es einen Namen dafür gibt, läßt noch andere "Täter" vermuten, ich bin also kein Einzelfall. Meine Affären sind durch meine Freiheitsliebe voll legitimiert gewesen. Es gab also keinen Grund für mich, diese zu verheimlichen. In Wirklichkeit hatte mein "Lebenspartner" als übertragungsfigur ausgedient - er war nicht extrem genug. Ich fühlte mich geklammert und ich glaubte, mich aus der Umklammerung lösen zu müssen. Mein vermeintlicher "Kamerad der Freiheit" hat sämtliche Exzesse mitgemacht - sie hat ihr eigenes Drama. Wirkliche Klammerung habe ich später, als meine Exzesse sich beruhigten und ausliefen, erst durch den "Kameraden der Freiheit" erlebt. Aber auch genau dieses war Teil meiner Inszenierung - ich hatte jemanden gefunden, von dem ich mich beliebig befreien und auch wieder klammern lassen konnte. Ich muß zugeben, daß mir zwar die Tatsache heute bewußt ist, daß ich aber noch nicht die volle affektive Begründung dafür gefunden habe. Ich vermute aber, daß die Begründung auf dem gleichen Feld zu suchen ist, auf dem auch meine Ballade In der Stille der Nacht angesiedelt ist
Drückt die Oberflächlichkeit aus, der ich in der oben genannten Zeit begegnet bin; ich gehörte dazu.
Mütter, Töchter und andere Frauen
Ja, warum eigentlich; ich weiß es selber nicht. Lyrik entsteht von selbst, und dieses hier ist vielleicht noch zu frisch. So habe ich als
überschrift einfach die Anmerkung meiner Freundin Erika vom nächsten Tag übernommen, die sich richtigerweise fragte: ja warum eigentlich.
Eine bessere überschrift gibt es z. Z. eigentlich nicht; vieleicht bis mir ein geeignetes "Darum" dazu einfällt.
Dieses habe ich etwa ein Jahr nach dem Erleben aufgeschrieben; die ganze Zeit habe ich es mit mir herum
getragen. Ob das, was sich hier so gefaßt anhört, ein Hinweis meiner Unfähigkeit zur Trauer ist, weiß ich
nicht. Was in der Kleinen Bucht am Atlantik ausgedrückt ist, habe ich
tatsächlich so empfunden. Ich meine, einen Weg der Trauerbewältigung für mich gefunden zu haben.
Meine Mutter war erst zwei Monate vor diesem Atlantikbucht-Erlebnis unerwartet gestorben. Jetzt könnte man fragen:
hört sich das nach einem Sohn an, der seine Mutter betrauert? Ihr könnt mir Eure Meinung ja ins
Gästebuch schreiben. Ich habe dieses lyrische Stück, wie imnmer, geschrieben und zunächst nicht weiter
darüber nachgedacht. Ich meine, es war mein Weg, um meine Mutter zu trauern.
Ich kann (noch) nicht trauern wie die Mehrzahl der anderen Menschen. Die Vermeidung der Trauer ist ein Ergebnis meines
perfektionierten Schutzmechanismus, der sich unbewußt - mein Leben lang - automatisch in Szene gesetzt hat,
wenn sich eine Gefahr für Trauer oder Schmerz anbahnte. Ich habe mich den Schmerzen nur so weit ausgesetzt,
daß sie dieses wollüstige Gefühl auslösten; auch dieses geschah natürlich unbewußt.
Das Maß dafür habe ich immer selbst gesetzt. Alles was darüber hinausging, ist von mir perfekt und
kategorisch abgeblockt worden. Dazu gehörte auch die Kontrolle über das Maß von Trauer und Schmerz;
und die Gefahr war natürlich sehr groß, wäre ich zur Trauerfeier gereist. Ich habe also noch einiges an
Trauerarbeit nachzuholen, und ich glaube, daß es mir mehr und mehr auch gelingt.
Ballade: In der Stille der Nacht Lyrik ist ein merkwürdiger Zustand. Man versucht, Gefühle in Worte und Rhythmen zu fassen. Man weiß zunächst selbst nicht, was
man meint; nur das Gefühl zeigt, daß das, was man schreibt, authentisch ist. Ich habe beim Schreiben dieser Ballade solch einen großen
Schmerz empfunden, daß ich während des Schreibens in einen tränenerfüllten Zustand gefallen bin, wie ich ihn selbst nicht für möglch gehalten habe.
Besonders neu war für mich die Erfahrung, Trauer und Schmerz ohne Wollust zu erleben.
Erst durch die Einfühlsamkeit einer Frau - meiner Lebensgefährtin Erika -, bin ich an den Kern meiner Empfindungen gekommen. Ich weiß heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß diese Ballade
vom Drama meiner Vorgeburtsphase handelt. Ich bin sechs Wochen zu spät als 12 Pfünder geboren worden. Meine Mutter wollte mich nicht hergeben,
und damit geriet ich in Lebensgefahr. Ich mußte mir meine Geburt erkämpfen. Ich wurde mit der Nabelschnur um den Hals gewickelt - mein
Gesicht blau angelaufen - geboren und bin nur knapp dem Erstickungstod entgangen. Natürlich kann ich all das nur affektiv nachempfinden. Es ist
schon erstaunlich, wie tief diese frühesten Erlebnisse unserer Existenz in uns verwurzelt sind und unser Leben beeinflussen.
Ich vermute hier die Ursache meines Dramas, das ich ständig zu wiederholen gezwungen war. Ich erinnere mich, daß ich bereits als kleines Kind
angefangen habe, meine Dramen zu inszenieren, so daß eine sehr frühe Ursache naheliegend ist. Diese Ballade hat für mich eine existentielle Bedeutung; sie ist ein Teil meiner selbst. Behandelt sie daher sorgfältig.
Ich glaube, daß dieses Stück denselben Ursprung hat wie
In der Stille der Nacht. Noch neu und unerschlossen für mich. Ich habe Haß gespürt, als ich es geschrieben
habe. An eine Frau, die man gerne differenziert betrachten möchte. Eine anfänglich
ambivalente Haltung reduziert sich auf das wesentliche der Beziehung. Eine typisch männliche
Betrachtungsweise - oder?